EU-Zollreform am Horizont
Will Brüssel mehr Kontrolle über unsere Zollämter?
Die erstmals im Mai 2023 seitens der EU-Kommission vorgestellten Pläne für eine grundsätzliche Reform der Zollunion rücken näher. Gespräche zur Konkretisierung der Umsetzung mit den Mitgliedstaaten sind bereits voll im Gange. Der BDZ-Bundesvorsitzende Thomas Liebel warnt: „Die Forderung nach ‚Mehr Europa‘ darf nicht zu einer Schwächung der deutschen Zollverwaltung führen. Die betroffenen Beamtinnen und Beamten in der Warenabfertigung sind keine willkürliche Verfügungsmasse für Pläne der EU.“
Geplant ist nichts anderes als die umfassendste Reform der Zollunion seit ihrer Gründung im Jahr 1968. Entsprechende Vorschläge hatte die EU-Kommission in einer groß angelegten Pressekonferenz im Mai 2023 erstmals öffentlich vorgestellt. Den Ankündigungen ging ein Empfehlungspapier der sog. Gruppe der Weisen zu den Herausforderungen der Zollunion aus dem Jahr 2022 voraus, das Antworten auf künftige Herausforderungen wie das zunehmende Handelsaufkommen, technologische und ökologische Entwicklungen sowie geopolitische und sicherheitspolitische Risiken liefern sollte.
Dabei scheint der Fokus der Kommission insbesondere auf einem Bereich zu liegen: den nationalen Zollabfertigungssystemen und ihren jeweiligen IT-Umgebungen. Derzeit gibt es in Europa 111 verschiedene IT-Systeme für den Zoll, die je nach Mitgliedstaat unterschiedlich weit fortgeschritten sind. So beklagte der zuständige Leiter der EU-Generaldirektion Binnenmarkt, Matthias Petschke, man hätte zwar einen Binnenmarkt, aber ein zersplittertes Zollsystem. Die EU wolle deshalb den „IT-Wildwuchs beim Zoll beenden“, wie das Handelsblatt berichtete. Die Mitgliedstaaten reagierten bislang zurückhaltend auf die Pläne, während Reaktionen aus der Wirtschaft gemischt ausfielen.
Die Eckpunkte der Reform
Die EU verspricht unter Verwendung einer Sprache der Modernisierung, Vereinfachung und Effizienzsteigerung bislang „schwerfällige“ Zollverfahren abzubauen und dadurch die „offene strategische Autonomie“ der EU zu stärken. Dies soll im Einzelnen durch folgende Maßnahmen geschehen:
- Schaffung einer EU-Zolldatenplattform („customs data hub)“, die bis 2038 schrittweise alle nationalen IT-Strukturen integrieren bzw. ablösen soll. Alle zollrelevanten Daten über Warenverkehr und Lieferketten sollen in dieser Online-Umgebung gebündelt und über ein Single-Window-Interface für Wirtschaftsbeteiligte abgewickelt werden.
- Errichtung einer EU-Zollagentur, die auf Basis des „customs data hub“ als Behörde für eine einheitliche Anwendung der verschiedenen Zollverwaltungsverfahren und –standards sorgt. Die Zollagentur soll Informationen bündeln, analysieren und dadurch die Zusammenarbeit der Zoll-, Marktüberwachungs- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten verbessern.
- Trust and check trader: Einführung des neuen Rechtsinstituts eines vertrauenswürdigsten Händlers („trust and check trader“) zusätzlich zum bestehenden Programm für zugelassene Wirtschaftsbeteiligte (AEO). Der „trust and check trader“ soll in Fällen, in denen Geschäftsabläufe und Lieferketten vollkommen transparent sind, seine Waren ohne Tätigwerden der Zollbehörden in der EU, d.h. ohne die Abgabe von Zollanmeldungen, in den Verkehr bringen können. Dies soll zum Anfang des kommenden Jahrzehnts einen Großteil des Handelsvolumens betreffen.
- Rechtsänderungen im E-Commerce: Abschaffung der 150-Euro-Freigrenze für Zölle und Festlegung von Online-Plattformen als offizielle Einführer, die künftig anstelle der Verbraucher und Beförderer alle Zollverpflichtungen erfüllen („deemed importer“).
- Zentralisierung des Risikomanagements auf EU-Ebene, das nicht nur Inhalte und Ziele nationaler Kontrollen im Rahmen gemeinsamer Risikoüberwachung definiert, sondern auch verbindliche Vorgaben zu deren Form und Durchführung macht (sog. Kontrollempfehlungen).
Der letztgenannte Punkt stellt dabei den schwerwiegendsten Eingriff in nationalstaatliche Kompetenzen dar, denen die operative Steuerung ihrer Zollverwaltungen bisher allein vorbehalten ist. Die genaue Ausgestaltung ist bisher zwar offen. Es droht jedoch die Gefahr, dass die EU infolge der operativen Vorgaben auch eine Reform der Zollämter anstrebt bzw. den Mitgliedstaaten diese auferlegt. Im schlimmsten Fall könnte eine Reduzierung der Zollstellen in der Fläche die Folge sein. Für alle Kolleg/-innen im Bereich der Zollabfertigung würde dies neue Unsicherheiten mit sich bringen. Dabei sind die Zollämter im Zuge der Fortentwicklung des nationalen Abfertigungspools zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits mit genug Herausforderungen konfrontiert.
Der Bundesvorsitzende des BDZ, Thomas Liebel, stellt klar: "Die Zollbeamtinnen und Zollbeamten in der Abfertigung sind keine willkürliche Verfügungsmasse der EU. Wenn diese Reformpläne aus dem Ruder laufen sollten, werden wir Brüssel hier ein deutliches Stopp-Schild zeigen."
Die Reichweite der Vorschläge der Kommission macht deutlich, dass sich die EU unter einem enormen Druck sieht, die Integration des Binnenmarktes zu forcieren. Man sieht sich im Vergleich zu den geopolitischen Partnern (USA) und Rivalen (China) insofern strategisch im Nachteil, als diese über vollendete Binnenmärkte mit geklärten Zuständigkeiten verfügen. Dies verschafft ihnen einen Wettbewerbsvorteil in einer Zeit von Kriegen, Krisen und Transformationen, in der der einheitlichen Durchsetzung handelspolitischer Maßnahmen eine immer größere Bedeutung zukommt. Das Thema wird deshalb nicht von allein wieder verschwinden – man meint es ernst.
BDZ wird der EU eigene Positionen klarmachen
Der BDZ erarbeitet zurzeit ein ausführliches Positionspapier zu diesen äußerst weitreichenden und komplexen Fragestellungen und befindet sich im fachlichen Austausch mit relevanten Institutionen und Wirtschaftsverbänden. Es ist offenkundig, dass wir uns als die Fachgewerkschaft für die mit Abstand größte Zollverwaltung unter den EU-Mitgliedstaaten eigenes Gehör verschaffen müssen. Bereits heute zeichnet sich von Seiten des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) eine eher passive Haltung ab, die droht, wesentliche Interessen des deutschen Zolls gegenüber der EU zu sehr aus dem Blick zu verlieren. Die Rolle Deutschlands sollte jedoch sein, die hohen Standards unserer professionellen Verwaltung zu bewahren, während man Veränderungen selbst aktiv mitgestaltet.
Auch hier werden wir uns als BDZ schützend vor die Beschäftigten stellen. Wir werden es nicht allein dem BMF überlassen, unsere Standpunkte gegenüber der EU vorzutragen. Klar ist: Eine Fremdsteuerung der Zollabfertigung aus Brüssel, die sowohl den fachlichen Anforderungen vor Ort, als auch den Bedürfnissen der Kolleginnen und Kollegen zuwiderläuft, wird es mit uns nicht geben.