Digitaler Zolltag 2024

Der Zoll ist die „first line of defense“

Der diesjährige Digitale Zolltag des BehördenSpiegel am 7. November stand ganz im Zeichen der wachsenden Herausforderungen für den Zoll als sog. erste Verteidigungslinie im Sicherheitsverbund. Hochkarätige Referenten aus unterschiedlichen Behörden und Institutionen beleuchteten diverse Brennpunkte und skizzierten künftige Lösungsansätze.

14. November 2024
  • Die Moderatorin Dr. Proll führte durch die digitale Veranstaltung. Der BDZ-Bundesvorsitzende Liebel forderte gegenüber der Politik erneut eine eigene "Sicherheitsmilliarde" für den Zoll.
  • Hochkarätige Gäste aus Verwaltung und Politik erörterten aktuelle Herausforderungen der inneren Sicherheit

Den Auftakt machte die – zum damaligen Zeitpunkt noch amtierende – Parlamentarische Staatsekretärin aus dem Bundesministerium der Finanzen (BMF), Katja Hessel. Sie stellte die wesentlichen Maßnahmen vor, die das BMF zur Stärkung des Zolls in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht hat, beispielsweise die Strategie zur Optimierung der Bekämpfung von Organisierter Kriminalität und Geldwäsche.

Hafensicherheit im Schlaglicht

Im Anschluss folgte ein Vertreter des Tabakkonzerns Philip Morris, der seit zwei Jahrzehnten im Bereich „illicit trade prevention“ tätig ist und auch Zolltrainings durchführt, mit einer Bestandsaufnahme zum Zigarettenschmuggel. Dessen Senior Manager Tammo Körner präsentierte alarmierende Zahlen: In Deutschland entgingen dem Staat im letzten Jahr schätzungsweise 368 Millionen Euro durch illegale Zigarettengeschäfte, der EU-Schaden belief sich sogar auf 11,6 Milliarden Euro. "Die Organisierte Kriminalität betreibt den Schmuggel immer professioneller", so Körner. Er warb dafür, den Aufwand für Zoll und Überwachungsbehörden durch "smarte Regulierung" zu erleichtern.

Smarte Ansätze tragen in der Schmuggelbekämpfung bereits ihre Früchte. Aus erster Hand erfuhren die Teilnehmer, wie die Hafensicherheit in Hamburg durch enge Behördenzusammenarbeit verbessert wurde. Das Hafensicherheitszentrum wurde am 31.05.2024 in Folge der „Allianz Sicherer Hafen Hamburg“ gegründet und soll eine enge Kooperation von Strafverfolgungs- und Kontrollbehörden gewährleisten. Johannes Wierk, Kontrollbeamter und Mitglied des dortigen Hafensicherheitszentrums, schilderte die praktischen Abläufe: Über täglichen Informationsaustausch überschneiden sich die Erkenntnisse verschiedener Dienststellen und können in den Lagebericht einfließen. Das Hafensicherheitszentrum unterstützt die Ermittlungsdienststellen von Zoll und Polizei. Koordinierte Präventionsmaßnahmen, Sensibilisierungskampagnen für die Hafenwirtschaft und ein anonymes Hinweisgeberportal tragen zur Risikominimierung bei. Schwachstellenanalysen würden zur Schließung erkannter Sicherheitslücken führen. Binnen nur eines halben Jahres gelang so ein großer Schlag mit der Sicherstellung von 2,1 Tonnen Kokain.

Wie auch andere Redner betonte Markus Tönsgerlemann vom Zollkriminalamt in seinem Vortrag: Der Zoll sei die "first line of defense" (erste Verteidigungslinie) im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität. Die Professionalität der Täter nehme ständig zu – auch im Drogenschmuggel hätten sich neue, hocheffiziente Produktions- und Vertriebsstrukturen herausgebildet. Moderne Risikoanalyseverfahren helfen dem Zoll bei der Auswertung der schier unüberschaubaren Datenmengen aus Millionen Zollanmeldungen. Jedoch passten sich die kriminellen Netzwerke permanent an, indem sie etwa Rohstoffe schmuggeln und die Drogenherstellung nach Europa verlagern. Um am Ball zu bleiben, seien unter anderem bessere rechtliche Möglichkeiten zur Überwachung verschlüsselter Kommunikation unabdingbar, so Tönsgerlemann. Man müsse am Puls der Zeit bleiben und dürfe Entwicklungen nicht aus den Augen verlieren. Das „innovation hub“ im Zollkriminalamt arbeite genau daran.

Produktsicherheit und Verbraucherschutz unter Druck

Direktionspräsident Ludger Schlief von der Generalzolldirektion erläuterte, dass der Zoll auch im Verbraucherschutz an vorderster Front agiert und hunderte EU-Vorschriften umsetzen muss. Zum breiten Kontrollspektrum zählen Lebens- und Futtermittel, Baumaterialien und sogar Tattoonadeln. Besondere Herausforderungen stellen dabei der boomende E-Commerce und die stetig wachsenden Sendungsmengen dar. Die Digitalisierung von Dokumenten und der Einsatz künstlicher Intelligenz zur Warenerkennung sollen den Zöllnern künftig die Arbeit erleichtern. Fast täglich bekommt der Zoll Anfragen von chinesischen Plattformen, die über Deutschland abfertigen zu wollen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Zollkontrollen effektiv durchgeführt werden. Jedoch darf auch die legale Wirtschaftstätigkeit nicht unangemessen beeinträchtigt werden, hier gilt es ein angemessenes Gleichgewicht herzustellen.

Auch David Klein, Leiter des Zollamts am Frankfurter Flughafen, berichtete von den immensen Auswirkungen des E-Commerce-Booms auf die Arbeitslast der dortigen Zöllnerinnen und Zöllner. Das Abfertigungsvolumen hat sich dort durch die Paket- und Kuriersendungsflut vervielfacht, zurzeit läge man bei rund 3 Millionen Zollanmeldungen im Monat. Aufwendige Vorabverfahren mit Wirtschaftsbeteiligten regeln die Abläufe für die Massenabfertigung. In enger und bisher guter Zusammenarbeit mit Marktüberwachungsbehörden versucht der Zoll, den Einfuhren nicht einfuhrfähiger und gefährlicher Produkte einen Riegel vorzuschieben. Würde man intensiver kontrollieren und noch mehr Aufgriffe haben, wie teils aus der Politik gefordert, könnten die Marktüberwachungsbehörden aber auch an ihre Grenzen geraten. Am 24. Oktober besuchte auch der BDZ-Fachausschuss Zölle und Steuern das dortige Zollamt, um sich ein Bild vor Ort zu machen - wir werden in Kürze berichten.

Eine ganz neue Bedrohungsdimension eröffnet sich durch den Handel mit als "Forschungschemikalien" getarnten Drogen bzw. Drogenausgangsstoffen. Kai Struzyna, Sales Manager von ELP, machte auf die besorgniserregende Entwicklung aufmerksam: Immer neue psychoaktive Substanzen mit drogenähnlichen Wirkungen tauchen auf dem Markt auf und lassen sich ganz einfach im Internet bestellen. Die Substanzen werden oft in Niedriglohnländern wie den Niederlanden, Tschechien oder Polen hergestellt und per Paketdienst verschickt. Auch hier sei eine zunehmende Professionalisierung der Täterseite zu beobachten, beispielsweise würden Kriminelle gezielt (nicht der Überwachung unterliegende) Vorläuferstoffe herstellen, um so Kontrollen zu umgehen. Die Chemikalien würden immer vielfältiger. Spezielle Technologien wie hochsensible Raman-Spektrometer, die sogar durch geschlossene Behälter hindurchmessen können, sollen bei der Identifizierung und Klassifizierung von Schmuggelware helfen. Die Zeit sei ein kritischer Faktor bei Zollkontrollen, die Analyse müsse schnell vonstatten gehen, so Struzyna.

Geldwäsche auf dem Vormarsch

Die Bekämpfung der Geldwäsche ist bekanntermaßen nach Einschätzung des BDZ und vieler Experten/-innen noch viel zu unterentwickelt. Antonia von Kruedener, Leiterin der Geldwäscheaufsicht in Berlin, schilderte, wie man im Land Berlin mit rund zehn Mitarbeitenden die über 20.000 Verpflichteten überwache, aber auch präventive Maßnahmen durchführe. Die Zuständigkeiten hätten auch Schnittmengen zum Zoll, beispielsweise im Bereich Bargeldanalyse, Umgang mit Hinweisgebern oder auch das sog. Hawala Banking. Auch im Rahmen der europäischen Plattform für Strafverfolgungsbehörden EMPACT wird zusammengearbeitet. Von Kruedener forderte ebenfalls personelle und rechtliche Verbesserungen sowie mehr Budget für Technologien wie künstliche Intelligenz.

Diese technologische Seite demonstrierte daraufhin Jens Gebhard, Pre-Sales Manager von Cellebrite. Er zeigte auf, wie Ermittler mit innovativen Lösungen die Kommunikation in kriminellen Netzwerken überwachen und analysieren können. Netzwerkanalysen, Medienklassifizierung, die Auswertung von Chatverläufen sowie Lokalisierungsdaten tragen zu einem immer präziseren Gesamtbild bei. So lassen sich etwa Drogenverstecke, Treffpunkte bei Bargeldübergaben oder Vertriebsrouten aufdecken.

Kritik an den Fehlentwicklungen in der Geldwäschebekämpfung der letzten Jahre kam vom Leiter der diesbezüglichen Rechts- und Fachaufsicht aus dem Bundesfinanzministerium, Nikolas Hecht: Die bislang vorliegenden Statistiken aus den Jahren 2015 bis 2017 belegten, dass Geldwäscheermittlungen faktisch nicht die Organisierte Kriminalität adressierten. Stattdessen hätten sich 95 Prozent der Verfahren ausschließlich gegen Finanz- und Warenagenten als "kleine Fische" gerichtet. Die zahlreichen zuständigen Behörden verfügten meist nur über eine völlig unzureichende Personalausstattung. Die Folgen von Geldwäsche für unser Wirtschaftssystem würden unterschätzt, mahnte Hecht und verwies auf die beispiellose Sprengkraft auf dem Immobilienmarkt. In Berlin könne man sehen, wie ordentliche Käufer immer mehr aus dem Markt gedrängt werden. Hecht warb angesichts der Regierungskrise in Deutschland für eine zügige Verabschiedung des Finanzkriminalitätsbekämpfungsgesetzes mit der Schaffung eines schlagkräftigen neuen Bundesamtes. Dadurch könnten die Kompetenzen effektiv gebündelt und die Zusammenarbeit der zerstreuten Behörden deutlich verbessert werden. Sämtliche Vorbereitungen seien innerhalb des Ministeriums abgeschlossen, man sei startklar.

Diskussionsrunde: Zoll weiterhin unterschätzt, Liebel fordert Sicherheitsmilliarde

Vor der abschließenden, von Chefredakteurin Dr. Eva Charlotte Proll geleiteten Diskussionsrunde sprach der Bundesvorsitzende des BDZ, Thomas Liebel, Klartext. Er appellierte an die Politik, dass die nächste Legislaturperiode von mehr Investitionen in den Zoll geprägt sein müsse. Liebel sprach sich für eine eigene "Sicherheitsmilliarde" für mehr Personal, Sachmittel und Digitalisierung aus. Zudem sei mehr Pragmatismus bei Digitalisierungsvorhaben gefragt. Großprojekte wie Polizei 20/20 hätten gezeigt, dass man zu langsam vorankomme, weil man überdimensioniert und bürokratisch denke. Man müsse nun Schritt für Schritt mit mehr Agilität voranschreiten, statt starr an vermeintlich perfekten Lösungen zu arbeiten. Mit Blick auf die von Minister Lindner angekündigte Strategie „Zoll 2030“ sagte Liebel, diese solle Entbürokratisierung beinhalten. Dies dürfe aber keine „bürokratische Entbürokratisierung“ bedeuten, stattdessen solle man lieber die Beschäftigten befragen. Zudem wiederholte Liebel die Forderung des BDZ, über die Wertigkeit der Planstellen zu sprechen. Die Komplexität der Aufgaben nehme zu, dies müsse sich auch in Stellenausstattung und dem Laufbahnrecht widerspiegeln.

Die Unions-Europaabgeordnete Lena Düpont, der SPD-Bundestagsabgeordnete Carlos Kasper und sein Kollege von Bündnis 90/Die Grünen Bruno Hönel sprachen sich durchweg für eine Verbesserung der Ausstattung und Arbeitsbedingungen der Zollbehörden aus. Einigkeit herrschte darüber, dass der Zoll unter der schlechten Finanzmittelausstattung der letzten Jahre zu leiden habe. Tendenziell bejaht wurde die Frage der Moderatorin, ob der Zoll in Politik und Bevölkerung unterschätzt würde. Dabei würde mehr Sichtbarkeit bei Stellenbesetzungen und Nachwuchswerbung helfen. MdEP Düpont wies ferner auf die Notwendigkeit des besseren Informationsaustausches auf europäischer Ebene hin. Die Bereiche Customs, Home Affairs und Finanzen können enger zusammenwirken, auch mit Blick auf die Vorschläge im Zusammenhang mit der Zollreform – beispielsweise Zollagentur und Zolldatenplattform. Hier seien Verbesserungen möglich, die zunächst nicht an Haushaltsfragen hängen.

Die Veranstaltung zog insgesamt eine facettenreiche Bilanz des Ist-Zustands mit all seinen Licht- und Schattenseiten. Neben beeindruckenden Erfolgsbeispielen für die Sicherstellung von Schmuggelware legten die Experten den Finger in viele wunde Punkte wie Personalmangel, veraltete Technik, zögerliche Digitalisierung und Reibungsverluste durch Bürokratie. Der Bedrohungslage durch eine hochprofessionelle globale Organisierte Kriminalität, die immer neue Wege findet, lässt sich nur mit ausreichenden Ressourcen, vernetztem Vorgehen und modernsten Befugnissen und Hilfsmitteln begegnen. Nur ein leistungsstarker Zoll als "first line of defense" kann seiner Rolle als erste Verteidigungslinie im Sicherheitsverbund gerecht werden.

Zum vierten Mal in Folge richtete der BehördenSpiegel mit Empfehlung des BDZ den Digitalen Zolltag aus. Wir unterstützen diese Veranstaltung als notwendiges Dialogformat weiterhin sehr gerne. Unsere Mitglieder werden wir gesondert benachrichtigen, sobald ein Mitschnitt des Webinar in der Mediathek bereitgestellt wird.

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