dbb Jahrestagung 2024

Wer Verlässlichkeit will, muss Verlässlichkeit bieten

Unter dem Motto „Starker Staat – Wehrhafte Demokratie“ warf der dbb beamtenbund und tarifunion in seiner 65. Jahrestagung ein Schlaglicht auf die Handlungsfähigkeit des Staates, die von großen Teilen der Bevölkerung immer mehr angezweifelt wird. Politische Radikalisierung ist eine der Folgen. In vielen Redebeiträgen wurde klar: Ein leistungsfähiger öffentlicher Dienst mit einem modernen und attraktiven Berufsbeamtentum ist ein Bollwerk gegen Feinde der Demokratie. Scharfe Kritik übte dbb-Chef Uli Silberbach deshalb an Vertrauensbrüchen der Politik gegenüber den Beamtinnen und Beamten, die sich täglich für unseren Rechtsstaat einsetzen.

12. Januar 2024
  • dbb-Chef Uli Silberbach richtet klare Worte an die Vertreter aus dem Bundestag, hier von links neben Moderatorin Anke Plättner: Marcel Emmerich MdB (B90/Die Grünen), Konstantin Kuhle MdB (FDP), Detlef Seif MdB (CDU)
  • Uli Silberbach im Streitgespräch mit dem BMI-Staatssekretär Bernd Krösser (links).
  • Auf der diesjährigen Tagung konnte das Publikum in Live-Abstimmungen an Umfragen zu Sachthemen teilnehmen, die in den Diskussionen aufgegriffen wurden.
  • Die Delegation des BDZ, mit hochrangigen Vertretern aus der Zoll- und Bundesfinanzverwaltung.

Die Probleme im öffentlichen Dienst müssen jetzt angepackt werden. Nur darüber reden, reicht nicht mehr. Mit dieser Aussage eröffnete Volker Geyer, stellv. Bundesvorsitzender des dbb, die dbb Jahrestagung 2024 in Köln. Der BDZ war mit Thomas Liebel, Adelheid Tegeler, Olaf Wietschorke, Peter Link, Tim Lauterbach und Michael Stumpf vor Ort vertreten und begleitete das gesamte Veranstaltungsprogramm mit regem Interesse.

In ihrem Grußwort zu Beginn stellt die Kölner Oberbürgermeisterin, Henriette Reker, die rhetorische Frage, wann denn die Zeit der Krisen endlich ein Ende haben könnte? Tatsächlich scheint die Dauerkrise zum Normalzustand geworden zu sein. Die Demokratie, so Reker, sei als System allerdings nicht per se anfälliger für Krisen. Ihr offener Charakter mache diese schlichtweg nur sichtbarer. Die Lücke zwischen den Erwartungen der Menschen an den Staat und dessen tatsächlicher Leistungsfähigkeit klaffe nämlich immer größer und habe sich zu einer echten Bedrohung für die Stabilität unseres Systems entwickelt.

Diese Gedanken machten den Auftakt für verschiedene Fachgespräche und Diskussionsrunden, die der dbb in seinem zweitägigen Programm am 8. und 9. Januar 2024 behandelte. Die Veranstaltung wurde zum fünften Mal von der renommierten Fernsehjournalistin Anke Plättner (phoenix runde) moderiert. Eine ausführliche Berichterstattung über die Ergebnisse ist auf der Internetseite des dbb zu finden: Sonderseite zur dbb Jahrestagung 2024

Silberbach: Vertrauen wiederherstellen, Herrschaft des Rechts verteidigen

Der gewerkschaftspolitische Schlagabtausch des ersten Tages sollte, wie üblich, zwischen dem dbb Bundesvorsitzenden Ulrich Silberbach und Bundesinnenministerin Nancy Faeser stattfinden. Mit großer Enttäuschung mussten die dbb-Mitgliedsgewerkschaften eine kurzfristige Absage der Ministerin zur Kenntnis nehmen. Entsprechend deutlich brachte Silberbach sein Missfallen über die Art und Weise der Absage, die ohne persönliche Nachricht oder Begründung kam, zum Ausdruck: „Diese Stillosigkeit haben wir im ansonsten guten und vertrauensvollen Miteinander zwischen Innenministerium und Beamtenbund noch nicht erlebt.“ In Vertretung des BMI nahm der entsandte Staatssekretär Bernd Krösser an der Tagung teil.

In seiner Rede holte Silberbach zum Rundumschlag aus und referierte zunächst im Auftrag vom dbb erhobene Statistiken, die für sich sprechen. Nur 27 Prozent der Bürgerinnen und Bürger gehen noch davon aus, dass der Staat seine Aufgaben erfüllen kann. 64 Prozent der Bevölkerung betrachten zudem die Bürgerferne der Politik als eine der größten Gefahren für die Demokratie. Und nur 3 Prozent halten Deutschland aktuell bei der Digitalisierung für gut aufgestellt, was für viel Frust sorge. Das Vertrauen gegenüber Medien aller Art sei ebenfalls besorgniserregend niedrig.

Wenn das Vertrauen in die Politik nicht weiter schwinden soll, müssten den Menschen im Land klare Perspektiven aufgezeigt werden, so Silberbach. Schönwetterdaseinsvorsorge und Schaufensterdigitalisierung, vor der der dbb immer gewarnt hatten, müssten ein Ende haben. Aber auch einen Wandel der politischen Kultur hält der dbb Chef für nötig: „Zur Wahrheit über den Vertrauensverlust gehört für mich nämlich auch, dass es oft gar nicht die konkreten Entscheidungen in Sachfragen sind, die die Menschen erschüttern, sondern das Gefühl, dass es viele Verantwortliche nicht allzu genau nehmen mit der Achtung vor dem Rechtsstaat. Verfassungswidrige Besoldung, verfassungswidrige Haushalte, immer mehr von Karlsruhe kassierte Gesetze … jede Nachwuchskraft im öffentlichen Dienst fragt sich doch, ob sie in der Ausbildung etwas verpasst hat, was da lautet ‚kreativer Umgang mit dem Recht‘.“

Ein modernes Berufsbeamtentum könne als tragende Säule des Rechtsstaats die „Herrschaft des Rechts“ verteidigen und für Berechenbarkeit und Verlässlichkeit sorgen. Wer jedoch Verlässlichkeit will, müsse Verlässlichkeit bieten. Als einzige Gebietskörperschaft stelle der Bund das vierte Jahr in Folge bei der amtsangemessenen Alimentation keine Verfassungskonformität her. Beim Punkt der Absenkung der Wochenarbeitszeit von 41 Stunden gebe es auch nach Jahren keinerlei Bewegung. Zugleich würden in Windeseile neue Regeln im Disziplinarrecht beschlossen, die alle Staatsbediensteten unter Generalverdacht stellen, verfassungsfeindlich eingestellt zu sein – und das obwohl sie täglich ihren Kopf für diesen Staat hinhalten. Dies seien politische Entscheidungen, die einen schweren Vertrauensbruch gegenüber den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes darstellen, betonte Silberbach.

BMI-Staatssekretär Krösser erwiderte allgemein, dass Probleme in nichtdemokratischen Systemen auch nicht besser gelöst würden. Zudem würde nach seiner Auffassung das Vertrauen der Menschen in den öffentlichen Dienst weniger von einem Minister in Berlin, als vom konkreten Handeln der Behördenmitarbeiter/-innen vor Ort, z.B. im Katastrophenfall, abhängen. Krösser lehnte eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit ab und äußerte, man müsse sich schon heute in puncto Attraktivität nicht vor der Privatwirtschaft verstecken, da durchaus viel erreicht worden sei.

Politische Mandatsträger warnen vor Fatalismus

Den politischen Gesprächsrunden wurde ein Impuls der Politikwissenschaftlerin Dr. Jana Puglierin, Leiterin des Berliner Büros des European Council on Foreign Relations, vorangestellt. Puglierin vertrat die These, dass der Ukraine-Krieg nicht Ursache, sondern Symptom globaler Umbrüche sei, die sich seit Längerem abzeichnen. Insbesondere Russland und China würden die Fragmentierung der bisherigen, auf multilateralen Regelungen basierenden internationalen Ordnung, vorantreiben. Sie streben eine neue Ordnung an, in der das Recht des Stärkeren die Stärke des Rechts ersetzt. Hierzu würden wirtschaftliche Abhängigkeiten und Uneinigkeit innerhalb der EU-Mitgliedstaaten gezielt ausgenutzt werden. Auch der BDZ hat im Kontext der Herausforderungen des komplexen Außenwirtschaftsrechts schon häufig auf diese globalen Problemstellungen hingewiesen.

Die Folgediskussion mit den deutschen Spitzenkandidaten zum Europaparlament unternahm den Versuch, Antworten auf diese Herausforderungen zu finden. Weitestgehend schien Konsens unter den Europaabgeordneten zu herrschen, dass das Einstimmigkeitsprinzip in der EU kaum noch tragbar sei. Angesichts der sicherheitspolitischen Bedrohungen inmitten angespannter Haushaltslagen sprachen sich mehrere Abgeordnete dafür aus, nationale Verteidigungsausgaben innerhalb einer EU-Armee effizienter zu nutzen. Auch wenn solche Pläne mit dem Einstimmigkeitsprinzip unrealistisch erscheinen, dürfe man vor der Europawahl nicht in Fatalismus verfallen. Man müsse in vielen Bereichen mutig vorangehen, da zu viel auf dem Spiel stünde. Einzig die Zusammenarbeit mit radikalen Kräften müsse das Tabu bleiben. Der BDZ wird seinen Betrag leisten und die europapolitischen Themen im Vorfeld der Wahl mit Blick auf Zoll und Bundesfinanzverwaltung gesondert aufgreifen.

Die Debatte der Bundestagsabgeordneten des Innenausschusses zu beamtenpolitischen Themen verlief unter positiveren Tönen. Die Vertreter der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und FDP bestätigten vom Grundsatz her die Forderungen und Positionen des BDZ für eine Modernisierung des Berufsbeamtentums. „Wenn es kein Berufsbeamtentum gebe, müsste man es erfinden,“ sagte der Grünenpolitiker Marcel Emmerich MdB. Die Verwaltung müsse mehr Fehlerkultur zulassen und im Einzelfallermessen stärker auf Eigenverantwortung der Beschäftigten setzen. Infolgedessen braucht es aber auch verbesserte Berufsperspektiven, Aufstiegschancen und Fortbildungsmöglichkeiten für Beamtinnen und Beamte, unterstrich Konstantin Kuhle MdB (FDP). Der Unionsabgeordnete Detlef Seif signalisierte, die CDU/CSU würde einen Gesetzentwurf zur amtsangemessenen Alimentation mittragen, wenn die Ampel-Fraktionen darin keine anderen strittigen Regelungen „verstecken“ würden. Emmerich und Kuhle stellten ein Besoldungsgesetz noch in diesem Jahr in Aussicht. Bei der strittigen Absenkung der Wochenarbeitszeit sprach sich hingegen allein Emmerich (Bündnis 90/Die Grünen) dafür aus, während die Vertreter von Union und FDP dies angesichts der Personalknappheit für derzeit nicht umsetzbar hielten.

Null Toleranz bei Übergriffen auf Staatsbedienstete

Weitere Höhepunkte der Tagung bildeten die Reden der Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (NRW) und Peter Müller (Saarland, a.D.). Wüst stellte klar, dass auf den öffentlichen Dienst auch in Krisenzeiten Verlass sei. Dies zeige sich nicht nur mit Blick auf das Hochwasser in den letzten Wochen, sondern schon seit Jahren. Man dürfe daher null Verständnis aufbringen, wenn gewisse Kräfte versuchen, den Staat und seine Vertreter zu delegitimieren und verächtlich zu machen. „Kein Anliegen rechtfertigt Straftaten,“ unterstrich Wüst. Peter Müller, der von 2011 bis 2023 Richter des Bundesverfassungsgerichtes war und vorher ähnlich lange das Amt des saarländischen Ministerpräsidenten bekleidete, war ebenso deutlich. Tätliche Angriffe auf Staatsbedienstete seien Angriffe auf den Rechtsstaat selbst. Es gebe hier keine Situation, in der der Zweck die Mittel heilige – Leib, Leben und Eigentum zu gefährden sei kein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung. Übergriffe auf Vollzugs- und Rettungskräfte seien daher unerträglich.

Besorgt zeigte sich Müller mit Blick auf die Rechtsdurchsetzung. „Wir brauchen keine neuen Regelungen – im Gegenteil, teilweise haben wir zu viele,“ äußerte er und mahnte ein Vollzugsdefizit an, gegen das nur eine angemessene Personalausstattung und -besoldung helfe. Aus der Justiz brachte Müller das Beispiel, dass rund zwei Drittel aller Tatverdächtigen schwerster Kriminalität infolge überlasteter und unterbesetzter Gerichte vorzeitig aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssten. Anstatt aber Richter/-innen vernünftig zu besolden, würden überflüssige Instanzen wie die des Bundespolizeibeauftragten geschaffen, die von Misstrauen gegenüber den Beamtinnen und Beamten zeugen. Eine wehrhafte Demokratie setze zudem handlungsfähige Sicherheitsbehörden voraus. Datenschutz sei hier wichtig, dürfte aber nicht zum Täterschutz werden. Die Rechtsprechung aus Karlsruhe sei dazu eindeutig, erklärte der ehemalige Verfassungshüter.

Wie eingangs Uli Silberbach beklagte Müller gleichermaßen den Rechtsbruch des Gesetzgebers in Haushalts- und Alimentationsfragen: „Auch der Gesetzgeber muss sich an die Verfassung halten.“ Er warnte abschließend davor, Menschen, die Probleme ansprechen, in eine bestimmte politische Ecke stellen zu wollen. Themen, die Menschen umtreiben, unter den Teppich zu kehren, vergifte das gesellschaftliche Klima und gefährde die Demokratie. Diese Gefährdung sei akuter, als viele glauben. Der dbb habe das richtig erkannt, indem er seine Jahrestagung dieser Thematik gewidmet hat.

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