Im Interview: Dieter Dewes lehnt Änderungen des Mindestlohngesetzes ab
Im Vorfeld der Koalitionsrunde, in der im Zusammenhang mit möglichen Änderungen am Mindestlohngesetz auch über die einheitliche Lohnuntergrenze verhandelt wird, hat sich BDZ-Bundesvorsitzender Dieter Dewes in Interviews mit dem in Bonn erscheinenden „General-Anzeiger“ und den „Stuttgarter Nachrichten“ nachdrücklich gegen Korrekturen ausgesprochen. Zuvor hatte er bereits zur anhaltenden Kritik des Wirtschaftsflügels der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion gegenüber dem „Tagesspiegel“ geäußert, es sei abenteuerlich, dass ausgerechnet diejenigen, die für das Mindestlohngesetz gestimmt hätten, es jetzt als „Bürokratie-Monster“ kritisierten. Sein Rat an die Große Koalition: „Wir sollten die Debatte versachlichen.“
General-Anzeiger (GA): Herr Dewes, der Mindestlohn ist seit 100 Tagen in Kraft, welche Erfahrungen haben die 6700 Zoll-Mitarbeiter der Finanzkontrolle Schwarzarbeit gemacht, die den Mindestlohn überwachen?
Dieter Dewes: In der Anfangsphase langen wir ja noch nicht mit dem scharfen Schwert des Gesetzes zu, um in größerer Zahl Bußgelder zu verhängen. Unsere Prüftrupps sind unterwegs in der Arbeitswelt und suchen nach Hinweisen für Schwarzarbeit, Sozialbetrug und nun eben auch Verstößen gegen den gesetzlichen Mindestlohn. Wir kontrollieren den tariflichen Mindestlohn schon seit Jahren in etlichen Branchen, nun sind einige Branchen dazu gekommen. Am Anfang steht das Verwarnen nicht im Vordergrund unserer Tätigkeit, eher das Aufklären über die Dokumentationspflichten. Unser Motto ist: Aufklärung steht vor Bebußung. In den hinzugekommenen Branchen sind die Kontrollen jedenfalls sehr pflegeleicht angelaufen. Die Beamten werden vom Dienstherrn dazu angehalten, Aufklärungsarbeit zu leisten und mit Augenmaß zu handeln.
GA: Einige Unternehmen beklagen aber einen hohen Überwachungsdruck und martialische Auftritte der Beamten.
Dieter Dewes: Hier sollte man mal die Kirche im Dorf lassen. Wer in eine Verkehrskontrolle kommt, beschwert sich ja auch nicht, dass der Polizist keine Jogginghosen anhat. Für einige Betriebe, etwa Großbäckereien und Gaststätten, ist es vielleicht eine neue Erfahrung, dass sie nun Besuch von Uniformierten mit Dienstwaffe und Handschellen bekommen. Es handelt sich aber um ganz normale Kontrollen eines Gesetzes. Und diese sind nicht geschäftsschädigend. Der Zoll ist bereits seit Jahren Bündnispartner von Wirtschaft und Handwerk, sodass in diesen Branchen längst positive Erfahrungen gesammelt werden konnten.
GA: Sie fordern mehr Personal für den Zoll, wie viele neue Planstellen brauchen Sie, um eine nennenswerte Kontrolldichte beim Mindestlohn zu gewährleisten?
Dieter Dewes: Der Haushaltsgesetzgeber hat uns zunächst 1600 neue Stellen bewilligt. Diese Zahl basiert aber auf einer zu geringen Annahme der zu prüfenden Beschäftigungsverhältnisse. Wir brauchen 2500 zusätzliche Planstellen. Nicht vergessen darf man dabei, dass die Ausbildung der neuen Kolleginnen und Kollegen zwei bzw. drei Jahre dauern wird. Außerdem gibt es Übergangsfristen bei der Zahlung des Mindestlohns bis 2017. Klar ist aber: Solange der Zoll nicht die 2500-Mann-Verstärkung hat, kann die Kontrolldichte nicht so groß sein, wie wir sie uns wünschen.
GA: Teile der Union und die Wirtschaft nennen das Mindestlohngesetz Bürokratie-Monster, vor allem die Dokumentationspflichten stehen bei der Koalitionsrunde am Donnerstag auf dem Prüfstand.
Dieter Dewes: Dieses Gerede von dem bürokratischen Monster kann ich nicht mehr hören. Dieses Etikett passt eher zu der unsinnigen Infrastrukturabgabe, die der Bundesverkehrsminister plant – unter dem Motto „Viel Aufwand – wenig Ertrag“. Nein, ich warne ausdrücklich vor jedem Aufweichen der Dokumentationspflichten. Das würde uns die Arbeit nur noch weiter erschweren. Noch einmal: Ohne wirksame Kontrolle können die Arbeitnehmerrechte nicht eingehalten werden.
GA: Warum?
Dieter Dewes: Die Große Koalition hat mit großer Mehrheit die 8,50 Euro versprochen. Damit aber die gesetzliche Lohnuntergrenze für den Pizza-Boten, die Friseurin und den Paketzusteller kein leeres Versprechen bleibt, muss der Staat kontrollieren. Und dafür benötigt der Zoll die Stundenaufzeichnung. Ohne diese ist nicht plausibel, wann der Arbeitnehmer angefangen und aufgehört hat. Es ist doch ein Witz: In jedem zweiten Restaurant wird Buch geführt, sogar für jeden Gast einsehbar, wann die Toilette gereinigt wurde. Und nun soll es nicht möglich sein, die Arbeitszeit der Beschäftigten zu dokumentieren?