Gedenken an Todesschüsse in Konstanz

Erinnerung an die vor 20 Jahren in Konstanz getöteten Kollegen

14. Februar 2018

 

In Konstanz trafen sich am vergangenen Samstag Vertreter der schweizerischen und deutschen Zollverwaltung am Zollamt Klein-Venedig, um im Rahmen einer Trauerveranstaltung der verstorbenen Kollegen zu gedenken. Vor 20 Jahren, am 10. Februar 1998 wurden dort auf brutale und heimtückische Weise der Zollbeamte Thomas Lachmaier und der Schweizer Grenzwächter Stefan Jetzer ihres jungen Lebens beraubt.

Ein an der Schweizer Grenze kurz zuvor eingeführtes gemeinsames Abfertigungsmodell machte es möglich, dass die beiden Kollegen an diesem Tag gemeinsam Dienst an einem der kleineren Grenzübergänge in Konstanz verrichteten. Gemeinsame Kontrollen bedeuteten hier: sich gegenseitig unterstützen, sich gegenseitig sichern, sich gegenseitig vertrauen. Man akzeptierte sich als gleichwertigen Partner, schätzte einander und tauschte im Laufe der Schicht auch Persönliches aus.

Das direkt am Ufer des Bodensees gelegene Zollamt Klein-Venedig wurde überwiegend von Berufspendlern und Touristen genutzt, um – abgelegen von den großen Zollämtern – mal schnell über die Grenze zu wechseln. Nur selten ergab sich die Notwendigkeit eines gesetzlichen Einschreitens. Die Freundlichkeit bei der routinemäßigen Kontrolle wahrend, galt es aber auch, die eigene Sicherheit und Achtsamkeit auf ein rechtswidriges Verhalten bei der gemeinsamen Dienstverrichtung nicht aus dem Blick zu verlieren.

Der Erfahrungsschatz und die Besonnenheit der Kollegen, die Aufmerksamkeit und das jahrelange Einsatztraining konnten jedoch das Unvorstellbare nicht verhindern. Der 29-jährige Italiener Mario Telatin - Heizungsbauer aus Arbon im Thurgau - nutzte an diesem Tag den Grenzübergang, um in die Innenstadt von Konstanz zu gelangen. Im Fahrzeug, so das spätere Ermittlungsergebnis, befanden sich mehrere Pistolen samt Munition, drei Maschinenpistolen, zwei Munitionskisten, Sprengstoff und Handgranaten. Thomas Lachmaier führte eine routinemäßige Kontrolle bei dem mit einer Unterziehschutzweste bekleideten Mann durch und fand eine Sporttasche mit Munition. Schnell rief er telefonisch Verstärkung. Weitere Maßnahmen konnten die beiden Kollegen nicht durchführen. Aus einer Pistole vom Typ Glock 18 feuerte der Täter unvermittelt 34 Schüsse ab. Mehrfach getroffen hatte Thomas Lachmaier keine Chance. Seinem Kollegen Stefan Jetzer gelang es noch, einen Schuss auf den Täter abzugeben, bevor auch er durch diesen unvorstellbar grausamen Gewaltakt aus dem Leben gerissen wurde.

Mit welchem Ziel sich der Italiener nach der Bluttat wieder in sein Fahrzeug setzte, blieb unbekannt. Nach 400 musste er an einem Bahnübergang anhalten. Ein beherzter Bahnmitarbeiter hörte die Schüsse und hielt die Schranken geschlossen. Blaulichter der Einsatzfahrzeuge und zu Fuß herbei eilende Zöllner und Polizisten machten eine weitere Flucht unmöglich. Dieser Gewissheit wohl bewusst, nahm sich der Täter durch einen Kopfschuss das Leben.

Unter den ersten am Tatort befand sich Nikolaus Spießer, damals Schieß- und Sportlehrwart beim Zollkommissariat Konstanz. Während er sich mit weiteren Kollegen um die Person im Fahrzeug am Bahnübergang kümmerte, erfuhr er durch Passanten, dass am Zollamt zwei weitere Personen am Boden liegen. Dort traf er auf seine erschossenen Kollegen.

Viele der alarmierten Einsatzkräfte hatten vor dem Eintreffen am Tatort gehofft, dass hier eine Verwechslung vorliegt und die Warnung vor Schüssen einem anderen Geschehnis gelten würde. Denn wenige Stunden zuvor wurden am deutsch-polnischen Grenzübergang Ludwigsdorf bei Görlitz die Zollbeamten Ralph Schulze und Thomas Haupt durch den Kasachen Viktor Diner erschossen. Im Rahmen einer routinemäßigen Kontrolle eines Linienbusses von Alma Ata nach Frankfurt/Main entriss der 38-jährige Täter einem der Kollegen die Waffe und eröffnete sofort das Feuer. Schnell verbreitete sich die Schreckensbotschaft bundesweit und in den frühen Morgenstunden sprach der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel noch vom schwersten Zwischenfall in der Nachkriegsgeschichte des deutschen Zolls.

Sieben Stunden später werden im 800 Kilometer entfernten Konstanz zwei weitere Kollegen in Ausübung ihres Dienstes getötet.

Neben der Trauer um die verstorbenen Kollegen in Ludwigsdorf und Konstanz und dem Mitgefühl gegenüber den Familienangehörigen galt es zeitnah, die Geschehnisse aufzuarbeiten. Nach Pannen, Peinlichkeiten und Unstimmigkeiten, wie sie unmittelbar nach dem Ereignis in Konstanz festzustellen waren, wurden die ersten Fragen über zeitgemäße Sicherheitsstandards und Ausrüstung der Beschäftigten gestellt.

Der damalige Personalratsvorsitzende beim HZA Konstanz, Gerhard Heider, hatte sich gemeinsam mit Nikolaus Spießer, beide auch gewerkschaftliche Funktionsträger im BDZ, für ein sofortiges Handeln zum Wohl und Schutz der Betroffenen und anderen Beschäftigten eingesetzt.

 

 

In einem Gespräch mit Vertretern aus Politik und Verwaltung konnten sie sich erfolgreich für die Bildung von Ausschüssen und Arbeitsgruppen einsetzen. Ziel war die Beurteilung der Gefährdungslage und die Einführung von Sicherheitsstandards, die regelmäßig anzupassen sind.

Ein damals geführtes persönliches Gespräch des Bundesfinanzministers Theo Waigel mit dem Vorsitzenden des Hauptpersonalrates Klaus H. Leprich wird heute noch als weichenstellend bewertet. So waren die Bestellung von Beauftragten für Eigensicherung, die Einführung der Unterziehschutzweste als persönliche Schutzausrüstung und der Einsatz neuer Holster, verbunden mit Verbesserungen in der Schießausbildung, Eigensicherung und waffenlosen Selbstverteidigung daraus resultierende Maßnahmen.

Auch 20 Jahre nach den schrecklichen Ereignissen sind die Bemühungen um eine Weiterentwicklung der Sicherheitsstandards in der Zollverwaltung nicht zum Stillstand gekommen. Einsatztaktik und Einsatzlehre im Zollvollzugsdienst werden fortlaufend optimiert, Einsatztrainer auf hohem Niveau geschult und fortgebildet und Einsatzmittel internationalen Standards angepasst.

Vor diesem Hintergrund erscheinen auch aktuelle Forderungen nach taktischen Überziehschutzwesten mit Halterungen für den Digitalfunk, die Anschaffung von Oberschenkelholster für den individuellen Einsatz und ein verbessertes Ausstattungskonzept für die Einsatzfahrzeuge mehr als gerechtfertigt.

Neben der verbesserten Sachausstattung gilt es auch einer ebenfalls seit 20 Jahren bestehenden Forderung weiter Aufmerksamkeit zu schenken: der Wertschätzung gegenüber den Einsatzkräften im Zollvollzugsdienst, denn sie haben im Rahmen ihrer Kontrollaufgaben immer die Verhältnismäßigkeit zwischen der Aufgabenwahrnehmung, dem Umgang mit dem Gegenüber und dem Schutz der eigenen Sicherheit zu beachten.

Aktuelle Diskussionen hinsichtlich der Gewalt gegenüber Beschäftigten im öffentlichen Dienst und die immer noch unterschiedliche Bewertung der Aufgabenerledigung durch die Polizei und den Zoll zeigen, dass hier noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden muss. Argumente für die unterschiedlichen Eingangsämter und Beförderungsmöglichkeiten lassen sich nach einer Analyse des Gefährdungspotenzials nicht aufrecht halten.

Repräsentanten des Staates, die einem gesetzlichen Auftrag folgend, Maßnahmen zum Wohle der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ergreifen, müssen durch eine härtere Bestrafung bei Gewaltdelikten geschützt werden. Gewaltsame Übergriffe in verbaler oder körperlicher Form, dürfen nicht ohne spürbare Konsequenzen bleiben. Täter sind strafrechtlich zu verfolgen und Opfer in die Lage zu versetzen, sich noch besser schützen zu können.

Die Gewerkschaft BDZ fordert hier eine umfangreiche Gefährdungsanalyse in allen Arbeitsbereichen mit Publikumskontakt und eine konsequente Umsetzung der sich daraus ergebenden Maßnahmen.

So unfassbar die Ereignisse vor 20 Jahren waren, so unvorstellbar der zeitliche Zusammenhang der Taten erschien, so erschreckend mag die Erkenntnis sein, dass Vergleichbares wieder passieren kann. Solange Menschen Gewalt ausüben, solange müssen sich ihnen Beschäftigte der Sicherheitsbehörden mit rechtsstaatlichen Mitteln entgegenstellen. Diese Beschäftigten gilt es zu schützen und eben auch wertzuschätzen.

Wolfgang Kailer, Vorsitzender BDZ Bezirksverband Baden

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